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Kaiserin Kunigunde

1019 – Vor 1000 Jahren: Erstmalige Erwähnung Liesborns

Schnadgang

Im diesem Jahr ist es 1000 Jahre her, dass der Name Liesborn (Liesbern, Lesbern) erstmals urkundlich Erwähnung fand. Das Jahr 1019 gilt in der Geschichtsschreibung als ein ereignisloses Jahr. Werfen wir doch einen Blick auf die Lebensumstände in dieser Zeit. Die Menschen wohnten meist in Ansiedlungen, da es kaum Städte gab, die wohl auch eher als Marktflecken mit ein paar hundert Einwohnern bezeichnet werden konnten. Der Alltag war beherrscht von der Sorge um den Lebensunterhalt, denn Hungersnöte durch Missernten oder Überfälle gehörten zur ständigen Gefahr. Das Durchschnittsalter lag bei etwa 35 Jahren. Der Einfluss des Christentums und der Kirche prägte das Leben der Menschen: die Guten und Frommen kamen in den Himmel, die Bösen und Sündigen wurden ins Fegefeuer geschickt oder gar in die Hölle verbannt.
Seit 1002 regierte Heinrich II. zunächst als König bis 1014, danach als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Den Bischofsstuhl in Münster hielt seit 1012 Dietrich I. (Thidericus; 1012-1022) besetzt. Graf Hermann II. von Werl (um 980-1025) herrschte nicht nur als Vogt über die Klöster in Werden, Essen, Meschede und Oedingen, sondern besaß auch die Vogteirechte über das Damenstift Liesborn.
Dem Stift stand zu dieser Zeit vermutlich die Äbtissin Gisla (Gisela) vor. Schriftliche Beweise, wenn es sie gab, sind verlorengegangen.
Im Gegensatz zum Reich Heinrichs II. erwies sich das Jahr 1019 für Liesborn und seine Abtei als bedeutungsvoll. Das seit der Gründung im 9. Jahrhundert vom Bistum unabhängige Kanonissenstift geriet vor 1000 Jahren zum Spielball der Mächtigen, wie eine kaiserliche Urkunde Heinrichs II. vom 16. März 1019 beweist, als dieser „mit herrschaftlicher Willkür die Abtei Liesborn dem Bischof von Münster“ übertrug.
Begeben wir uns nun zunächst in das Jahr 1016. Im Herbst rückte das Liesborner Kanonissenstift in den Mittelpunkt einer Fehde zwischen Bischof Dietrich I. von Münster und dem mächtigen Grafen Hermann II. von Werl, dessen Herrschaftsbereich das Stift unterstand. Dieses war als Erbe auf die Grafen von Werl gekommen und der Bischof hatte wohl ein Auge darauf geworfen und begann es zu beanspruchen. Da die Äbtissin Gisla eine Tante des Bischofs Dietrich I. war, lässt sich unschwer erahnen, in welche Richtung dieser Konflikt sich entwickeln würde. Schon in jener Zeit galt, dass Blut dicker ist als Wasser. „Es liegen keine Beweise dafür vor, dass Liesborn seit seiner Gründung der Diözesangewalt des münsterischen Bischofs unterstanden hat“. Graf und Bischof verwüsteten mit ihren Gefolgschaften gegenseitig ihre Besitzungen, wie Thietmar von Merseburg (975-1018) in seiner Chronik festhält. Kaiser Heinrich II. gelang es jedoch im Jahre 1017 den Streit zu schlichten [21], allerdings hielt das nicht lange an. Ob der Münsteraner oder der Werler die Fehde wiederaufgenommen haben, bleibt ungewiss.
Am 16. März 1019 sollte Graf Hermann II. von Werl die Quittung für seine Fehden bekommen, ohne darauf einwirken zu können, da er nicht vor Ort der Entscheidung war. Gleichzeitig schlug die große Stunde für Dietrich I. von Münster. Der Kaiser sprach ihm in einer Übertragungsurkunde die Abtei Liesborn zu. Paul Leidinger nennt das einen „krassen Rechtsbruch des Kaisers“, der bewusst seinen Werler Vetter benachteiligte. Dietrich I. hatte behauptet, „dass die Abtei früher der bischöflichen Kirche gehört habe“, konnte dieses aber nicht urkundlich belegen. Auch der Inhalt dieser während der Synode in Goslar gesiegelten Urkunde macht deutlich, dass der Anspruch des Bischofs „sine scripto“ (ohne Geschriebenes) umstritten war. Auf jeden Fall erhielt er die Hoheit über die Vogtei, was ihm vielleicht wichtiger gewesen war, als das „Recht die gottesdienstlichen Dinge (…) nach freiem Ermessen einzurichten“. Eine nicht zu unterschätzende Rolle in dieser Urkunde spielt die Kaiserin Kunigunde (um 980-1033), eine frühe Lobbyistin. Sie hat in vielen Kaiserurkunden für genehme Bittsteller interveniert. So scheint auch hier Bischof Dietrich I. ihr Wohlwollen gewonnen zu haben, denn die Urkunde besagt zur Entscheidung: „(…) auch durch Vermittlung und Bitte der Kaiserin und unserer sehr geliebten Ehefrau Kunigunde (…)“, die übrigens 1200 heiliggesprochen wurde.
Graf Hermann II. von Werl unterlag der kaiserlichen Kirchenpolitik, die die Bischöfe mit reichlichen Schenkungen begünstigte. Die Umstände des Verlusts der Liesborner Abtei lässt den Unmut des Werler Grafen nachvollziehen. Das Kanonissenstift gehörte schließlich zu seinem von den Vorfahren ererbten Besitz. In der Folgezeit versöhnten sich Graf und Kaiser jedoch wieder.
Die Urkunde vom 16. März 1019, deren Original nicht mehr vorhanden ist, befindet sich als alte Abschrift auf Pergament aus dem 12. Jahrhundert im Landesarchiv Münster. Sie enthält die erste bekannte Erwähnung Liesborns: „(…) unam abbatiam Liesbern nominatam (…)“ (eine Liesborn genannte Abtei). Die Stellung des Bistums Münster wurde gefestigt und das Kanonissenstift in die Hände des Bischofs gelegt, bis es schließlich 1130 aufgelöst und in ein Benediktinerkloster umgewandelt wurde. Die in der kaiserlichen Urkunde aufgeführten Rechtsansprüche des Bischofs blieben bis zur Säkularisation im Jahre 1803 gültig.
Bernd-Peter Kerkemeyer